Wir alle leben in Zeiten von Corona mit einer gewissen Unsicherheit und haben nicht ausreichend Informationen und Erfahrungen, um ganz sicher über die aktuelle Situation urteilen zu können. Aber auch ohne Covid-1 9 ist das Leben in unserer Gesellschaft im Allgemeinen aufgrund seiner Komplexität von Unsicherheiten geprägt. Um diese Unsicherheit nicht ertragen zu müssen, flüchten sich zurzeit einige in simple und irrationale Antworten von
Verschwörungsmythen.
Dies ist erst mal bequem, denn diese scheinbar einfachen „Antworten“ ersparen einem, sich ernsthaft kritisch mit der Realität der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und der eigenen
Verantwortung im bestehenden System auseinander zu setzen.
In diesem Zusammenhang formiert sich derzeit leider eine Allianz von Pseudowissenschaftlern, Verschwörungserzählern, Impfgegnern und Reichsbürgern, die über „Notstands-Regime“ oder „Gleichschaltung der einst freien Presse“ fabulieren.
Impfgegner, die in wahnhaften Kreisen aufgrund eines vorgeblichen „Impfzwangs“ Einschränkungen für ihre Freiheitsrechte und für ihr Leben befürchten – die es gar nicht gibt und auf absehbare Zeit auch nicht geben wird – schrecken hierbei nicht davor zurück, ihre Situation mit der von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus zu vergleichen.
Dabei bedienen sie sich mit dem Tragen eines „Judenstern“ mit der Aufschrift Ungeimpft auch noch eines Symbols, das den nationalsozialistischen Rassegesetzen von 1 935 entstammt. Sie beziehen sich damit eindeutig auf den industriell organisierten
Massenmord an Jüdinnen und Juden.
Dies ist nicht nur zynisch oder geschmacklos – Nein, es ist eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, und es ist eine Verharmlosung des Holocausts. Wer das tut, handelt antisemitisch.
Die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus fällt in Deutschland übrigens nicht unter die Meinungsfreiheit, sondern ist aufgrund der deutschen Geschichte eine Straftat.
Diese gefährliche Entwicklung wollen wir nicht unwidersprochen lassen!
Wir sehen in jedem Fall die Notwendigkeit, öffentlich über verhältnismäßige InfektionsschutzmaDnahmen sowie Grundrechtseinschränkungen zu diskutieren.
Eine Diskussion bezüglich Grundrechtsverletzungen war allerdings auch schon vor Corona z. B. durch die Verschärfungen des PAG dringend notwendig und angebracht gewesen.
Wir wenden uns aber strikt gegen die Initiator*innen der sogenannten „Hygiene-“ und „Grundrechts“ -Demonstrationen, die unter anderem Holocaust- Leugnern, Geschichtsrevisionisten und Rechtsextremisten als Plattform dienen, um ihr rechtsextremes Gedankengut und antisemitische Inhalte zu verbreiten. Wir wollen hierbei den Teilnehmenden nicht pauschal unterstellen, dass sie per se rechts und antisemitisch sind. Wir finden jedoch den scheinbar leichtfertigen Umgang der Veranstalter*innen mit der Vereinnahmung der Proteste von Rechts äußerst bedenklich und
gefährlich.
Denn die „Anti-Corona-Bewegung“ scheint in weiten Teilen wenig dafür zu tun, sich gegenüber dem extrem rechten Spektrum abzugrenzen.
So auch in Ingolstadt. Unter anderem waren hier Lukas Rehm, Benjamin Huber und Christine Huber von der AfD sowie Stefan Faber von der NPD bei einigen Veranstaltungen anwesend.
Die Rechtfertigungsversuche der Anmelder*innen über eine Veranstaltung mit vermeintlichen Zuschauer*innen sind lächerlich.
Wer aktiv an einer Veranstaltung teilnimmt, ist Teil dieser. Auch Faschisten. Und alle anderen auf derselben Veranstaltung haben dann nur drei Möglichkeiten: Entweder sie tolerieren die anwesenden Faschisten, sie distanzieren sich von ihnen und drängen sie aus der Veranstaltung oder sie gehen selbst.
Die Organisator*innen und Besucher*innen der Ingolstädter „Corona-Demos“ haben sich bisher dazu entschlossen, sie zu tolerieren. Eine Durchsage am Beginn der Veranstaltung, dass keine Rechten und Verschwörungserzähler erwünscht sind, reicht hier bei
weitem nicht aus.
Hier müssen nach Ankündigungen unter Umständen auch Konsequenzen folgen, indem bekannte Faschisten und Rassisten sowie Querfrontler aktiv aus der Veranstaltung entfernt werden.
Weiterhin wurde ihre Anwesenheit in einem Zeitungsartikel durch die Organisator*innen selbst gerechtfertigt. Es handele sich „nicht um politische Angelegenheit[en]“. Doch das tut es sehr wohl. Alles,
was das gesellschaftliche Zusammenleben betrifft, ist politisch. Nur weil der politische Diskurs um Grundrechte von vielen, politisch unterschiedlichen, Kräften geführt wird, heißt das nicht, dass er
unpolitisch ist. Entscheidend ist nicht, ob sich die Forderungen aller Teilnehmer*innen der „Corona- Demos“ auf dieselbe Phrase reduzieren lassen, sondern was damit gemeint ist.
Laut den Organisator*innen bestünde „Einigkeit in Bezug auf Grundrechte jedes Menschen“ unter den anwesenden Menschen. Wer mit dem Wissen, dass AfDler und NPDler anwesend sind, so spricht, hat das entweder nicht ganz durchdacht oder stimmt
tatsächlich mit Faschisten im Punkt Menschenrechten überein. Es bedeutet unter anderem Menschen, die vor Krieg und Hunger geflohen sind, ihr Existenzrecht – das Recht auf Leben ist ja wohl ein sehr wichtiges Grundrecht – abzusprechen und auf sie verübte
Anschläge zu befürworten, sie erschießen, verhungern und ermorden zu lassen. Zudem sind AfD und co. reaktionäre Hardliner, die seit jeher für eine „law-and-order“-Politik stehen – und nicht etwa für
Freiheitsrechte für alle Menschen. Das alles bedeutet letztendlich, mit Faschisten dieselbe Vorstellung zu den Grund- und Menschenrechten zu teilen.
Wir wollen und werden die Straßen Ingolstadts nicht heuchlerischen Rechtsextremisten, Holocaust- Leugnern und Antisemiten sowie Verschwörungserzählern und ihren Anhängern überlassen. Es gibt
auch in Zeiten von Corona etliche Gründe, für die wir auf die Straße gehen sollten.
Die Lage in Geflüchtetenunterkünften ist menschenunwürdig.
Zudem besteht die reale Gefahr, dass die Grundrechtseinschränkungen nach Corona nicht zurück genommen werden. Auch sozial ist Corona mit erheblichen Härten verbunden. So hat sich der Pflegenotstand deutlich verschärft. Es sind besonders
die Schwächsten, die unter der Krise am meisten leiden, während milliardenschwere Rettungspakete für die Wirtschaft z. B. für klimaschädliche Auto- und Energiekonzerne beschlossen werden. Diese Themen kommen jedoch auf den Demonstrationen, die sich
angeblich für unser aller Grund- und Menschenrechte einsetzen, bezeichnenderweise nicht vor. Dann wären auch keine Rechten anwesend, widersprechen diese Themen doch ihrer unsozialen, unsolidarischen und menschenverachtenden Gesinnung.
Gates noch?
Ja, auch wir kritisieren die Bill und Melinda Gates Foundation (BMGF) in der WHO. Dazu brauchen wir aber nicht erst die Corona-Pandemie und wüste Verschwörungsmythen. Diese Stiftung gibt es, wie so vieles im kapitalistischen System, nicht aus reiner
Wohltätigkeit. Denn zur Lösung der globalen Ungleichheit setzt die Gates Stiftung vielmehr auf eine Förderung neoliberaler Wirtschaftspolitik und die Globalisierung der Unternehmen. Vor allem das Großkapital profitiert direkt von den Aktivitäten der
Stiftung, vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Gesundheit.
Beim Thema Gesundheit setzt die Stiftung dabei vor allem auf die Strategie der Impfprävention, dabei werden andere soziale Komponenten für die Gesundheit der Menschen, wie Bildung,
Wohnbedingungen, Armut, Krieg etc., vollkommen ausgeblendet. Die Stiftung handelt somit vor allem im Sinne von Profitinteressen von z. B. Pharmakonzernen, diese aber sind unvereinbar mit den grundlegenden, nicht marktförmigen Bedürfnissen von Menschen.
Wir halten Gates dennoch nicht für den allmächtigen Strippenzieher und wir halten die aktuelle Situation nicht für eine Verschwörung zum Zwecke der totalen Unterdrückung, sondern für eine leider normale und zu kritisierende Entwicklung im kapitalistischen System.
Es braucht also keine irren, wirren antisemitischen Verschwörungsmythen z. B. a la QAnon, um die Bill Gates-Stiftung zu kritisieren.
Abstand halten!
Eins sollte allen klar sein: Zum Einsatz für die Grundrechte gehört die strikte Distanzierung von Rechtsextremisten, Antisemiten, Querfrontlern und anderen reaktionären Kräften. Solange dies nicht
deutlich wahrnehmbar und effektiv – auch von Seiten der Initiator*innen – geschieht, raten wir von der Teilnahme an den „Hygiene-“ bzw. „Grundrechts“ -Demos“ strikt ab. Zudem sollten wir uns ferner alle davor hüten, solche Verschwörungsmythen als
witzigen Irrglauben abzutun.
Wohin solcher Wahn führen kann, haben wir kürzlich erst wieder mal bei den rechtsextremistischen Morden in Hanau gesehen.
Keine gemeinsame Sache mit Faschisten!
Grundrechte für alle Menschen!
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